Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie einen schlechten Tag haben. Ich meine nicht einen dieser Tage, an denen man sich schlapp fühlt, mit Kopfschmerzen aufwacht oder sich vielleicht erneut mit Corona infiziert – nein, nicht diese Art von Tag. Und ich spreche auch nicht von Tagen, an denen nichts funktioniert oder alles schiefgeht, was man sich vorgenommen hatte. Nein, auch das ist nicht gemeint. Ich meine eher einen Tag, an dem man seine Aufgaben zwar erfüllt, aber dabei viel mehr Aufwand, Energie und Kosten aufwenden muss, als geplant oder üblich. Ein Tag, an dem Jammern nichts nützt, und Fluchen zwar kurzfristig Erleichterung bringt, aber keine Lösung ist. Statt jetzt lange zu erklären, was ich meine, erzähle ich Ihnen lieber, was mir vor einigen Tagen passiert ist.

Ich musste mehrere Exemplare meiner neu erschienenen Bücher – eines auf Deutsch, eines auf Englisch – an verschiedene Institutionen abgeben. Ich habe sie als Selbstverleger auf Amazon veröffentlicht. Diese Abgabe erfolgt natürlich „freiwillig“ – also so freiwillig wie Steuerzahlen – und selbstverständlich unentgeltlich. Wer gibt heutzutage schon gern etwas her, ohne dafür bezahlt zu werden? Genau – Autoren, die mit viel Mühe, Kreativität und Zeit diese Werke schaffen.

Normalerweise schickt man solche Pflichtexemplare per Post – kostet nicht viel. Aber ich, der obergescheite Sparer, dachte mir: „Ich bin derzeit auf Sabbat-Urlaub. Für alle, die das nicht gleich einordnen können: Das bedeutet in meinem Fall, ich bin beim AMS gemeldet und offiziell auf Jobsuche. Zeit habe ich also, und eine Jahreskarte auch. Warum also nicht persönlich ausliefern? Ich stellte mir auch gleich vor, was ich mit dem eingesparten Porto machen würde: vielleicht einen Döner zu Mittag mit einem kalten Getränk. Der Stand gegenüber meinem Büro hat wirklich gute Döner. Dann dachte ich: „Naja, Döner hatte ich ja gestern. Lieber einen Leberkäse mit einer frischen, knackigen Semmeln – das kommt bei manchen Leuten ja als Zeichen gelungener Integration durch. Ob das stimmt, sei dahingestellt.“ Ein Schnitzel wäre zwar meine erste Wahl gewesen – aber dafür würde das Ersparte nicht reichen. Allein durch diese Gedankenspiele bekam ich am Abend großen Hunger. Als ich feststellte, dass wir zu Hause nichts Warmes gekocht hatten, bestellte ich zwei Pizzen – natürlich nicht in meine Sparrechnung von morgen eingerechnet. Das war einfach eine normale Bestellung, völlig unabhängig von meiner klugen Strategie.

Am nächsten Morgen machte ich mich also auf den Weg zum „Sparen“. Der Bus fuhr mir genau vor der Nase davon – der Fahrer hat mich im Spiegel sicher gesehen, aber zum Anhalten war er wohl nicht in Stimmung. Na gut. Ich wusste, dass so etwas auch mir irgendwann einmal passieren würde. Ich hätte zu Fuß gehen können – es waren nur acht Minuten – aber ich hatte mehrere Bücher dabei und wollte nicht ins Schwitzen kommen. Also wartete ich lieber auf den nächsten Bus. Der dann natürlich kam, doch auch dieser war völlig überfüllt. Zwei Schulklassen hatten offenbar einen Ausflug geplant. Ich schaffte es mit Mühe, einen Stehplatz zu ergattern. Mein frisch geputzter, gebügelter Anzug bekam schon dort die ersten Falten. Dann fuhr ich weiter zur Station Herrengasse – von dort aus wollte ich zu Fuß zur Nationalbibliothek.

Von der Herrengasse bis zur Bibliothek brauchte ich höchstens zehn Minuten. Danach würde ich vier Exemplare loswerden, meine Last würde deutlich leichter sein. Die Sonne schien stark, und viele würden sich heute bestimmt einen freien Tag gönnen. Man konnte sich leicht vorstellen, wie es bald am Donauufer aussehen würde: Kaum bekleidete Menschen, die in der Sonne lagen oder schwimmen gingen, um der Hitze irgendwie zu entkommen. Der Temperaturmesser auf meinem Handy zeigte bereits um 8:30 stolze 22 Grad – Tendenz steigend. Laut Webseite sollte die Abgabe beim Haupteingang erfolgen – vor der Rampe, auf der rechten Seite. Die Postadresse hingegen verwies auf den Nebeneingang in der Josefplatz 1, etwa fünf bis zehn Gehminuten entfernt – allerdings näher zur Station. Auf dem Weg dorthin kam mir der Gedanke: Warum die weite Strecke? Der Nebeneingang war doch näher. Ich entschied mich also für diesen. Als ich dort ankam, war es 10 Minuten vor 9. Die Tür war geschlossen, kein Schatten rundherum. Ich marschierte auf und ab wie ein Soldat, meine Waffen: zwei überfüllte Büchertaschen. Die Sonne brannte auf meinen kahlen Kopf – ja, der liebe Gott hat bei der Haarverteilung an mir vorbeigesehen. Punkt 9:00 – ganz im Stil österreichischer Pünktlichkeit – wurde die Tür geöffnet. Ich trat selbstsicher ein. Der Portier fragte, was mein Anliegen sei, und ich erklärte es ihm gewissenhaft. Gemeinsam gingen wir zu einer Dame am Schalter. Ich erzählte die Geschichte erneut. Sie meinte freundlich: „Ich kann die Bücher schon annehmen und sie später dorthin bringen – aber sicherer wäre es, wenn Sie es selbst machen.“ Ich habe es bis heute nicht verstanden, was sie mit ‚sicherer‘ eigentlich meinte. Aber offenbar bin ich inzwischen konservativer und risikoscheuer, als ich dachte. Ich nahm also meine zwei Taschen (ja, ich hatte die Last klug aufgeteilt, um Rückenschmerzen zu vermeiden) und machte mich erneut auf den Weg – diesmal zum Haupteingang. Ich – der kluge Hitzemeider – ging extra langsam, ohne jegliche Eile. In einem Tempo, das sogar Schildkröten nervös gemacht hätte. Unten bei der Rampe blieb ich kurz stehen, blickte genau nach rechts – aber da war keine Tür zu sehen. Offenbar konnte man sie von hier unten einfach nicht erkennen. Ich nahm also an, sie müsse erst oben, nach dem Eingang, auf der rechten Seite sein. Das schien mir die logischste Erklärung. Also ging ich die Rampe hinauf, betrat die Bibliothek und sah mich um – aber auch dort fand ich keine Tür. Ich ging weiter zur Rezeption und erklärte der Dame mein Anliegen. Sie hörte geduldig zu und schickte mich wieder zurück – zur Rampe. „Die Tür sehen Sie nur, wenn Sie ganz oben sind und dann nach unten schauen“, sagte sie. Und ja – tatsächlich: Erst von oben war sie zu erkennen. Ja, meine Damen und Herren – die vier Exemplare gab ich dort endlich ab. Müde, genervt und inzwischen auch verschwitzt. Immerhin hatte ich bis dahin etwa 7 Euro gespart. Mit diesem Gedanken tröstete ich mich.

Nächste Station: das Wiener Rathaus. Auch die Wienbibliothek wollte zwei Exemplare. Ich hatte nur noch eine Tasche, das Sakko zog ich aus und hielt es in der freien Hand. Die Schweißflecken unter meinen Achseln waren inzwischen nicht mehr zu übersehen – aber ich tat so, als wären sie nicht da. Vom Heldenplatz bis zum Rathaus hätte ich natürlich die Öffis nehmen können. Aber um dahin zu kommen, hätte ich erst zum Ring müssen – und dann entweder rechts oder links zur nächsten Haltestelle laufen. Also auch wieder zu Fuß. Und da ich schon immer gut im Schätzen von Entfernungen bin – mein Gehirn rechnet das automatisch mit, wie ein eingebauter Entfernungsmesser – entschied ich mich, den Weg zu Fuß durch den Volksgarten zu nehmen. Eine göttliche Gabe, wirklich! Leider wurde mir genau diese Stärke an diesem Tag zum Verhängnis. Das Thermometer am Handy zeigte 25 Grad. Mir war heiß. Ich schüttelte das Handy kräftig – in der Hoffnung, dass es falsch misst. Die Älteren unter Ihnen kennen das: Früher hat man ja auch auf Fernseher geschlagen, wenn das Bild schlecht war – und manchmal hat’s tatsächlich geholfen. Meine Nerven waren am Ende, der Schweiß lief mir über die Stirn. Ich fragte den netten Wächter vor dem Eingang, wie ich zur Bibliothek komme. „Auf der linken Seite finden Sie einen Aufzug. Nehmen Sie den und fahren Sie in den ersten Stock“, sagte er in einem Tonfall, aus dem ich ganz deutlich Mitleid heraushörte – und seine Körperhaltung sprach dieselbe Sprache. Oh Gott – bin ich wirklich schon so alt? Weiße Haare hatte ich keine – mangels Haaren. Woher also sein Mitleid? Ach ja – meine linke Augenbraue hat ein paar weiße Härchen bekommen. Aber diese Tatsache wollte ich nicht akzeptieren. Der erste Stock ist nicht weit und absichtlich nahm ich nicht den Aufzug, sondern stolz die Treppe. Sie kennen sicher die alten Gebäude mit ihren langen, flachen Stufen. Nach zwei Treppen war ich statt im „ersten Stock“ im Mezzanin. Ich war enttäuscht und verärgert aber akzeptierte es irgendwie. Weitere zwei Treppenabschnitte und voller Hoffnung auf das Ende der Folter und Mühe erreichte ich – und jetzt bitte liebe LeserInnen seien Sie gefasst – das „Halbstock“. Ich könnte schwören, ich war physisch im zweiten Stock, aber laut Schild erst im Halbstock. Wer denkt sich so etwas aus? Österreichische Spezialregelungen eben. Ein Freund sagte mal, das wurde eingeführt, um höher bauen zu dürfen. Nach weiteren zwei Treppen kam ich endlich im „ersten Stock“ an. Zwei Bücher weniger – das war mein Trost. An das gesparte Porto von 3,10 Euro und die Polstertasche für 0,80 Euro dachte ich nicht mehr.

Die nächste und letzte Station war die Universitätsbibliothek. Sie war nicht mehr weit entfernt. Nur über die Straße bis zum Ring, dann links, und nach ein paar Minuten wäre ich dort angekommen. Auf dem Weg zum Ring sah ich auf der Straße ein Schild und eine Tür. Ich war fast – aber eben nur fast – sicher, dass das der richtige Ort war, um die letzten zwei Bücher abzugeben. Die Adresse war auf der Webseite nicht angegeben, also entschied ich mich – ganz brav und sicherheitshalber – doch für den offiziellen Haupteingang. Diese fünf Minuten würde ich schon noch schaffen. Mein Rücken tat zwar weh, aber der Schmerz war noch auszuhalten. Am Empfang fragte ich nach dem Büro für die Abgabe. Der Herr beschrieb mir den Weg – und ich ahnte schon, wohin es gehen würde: zurück durch den Innenhof, genau dorthin, wo ich vorher noch unsicher war. Diesmal aber mit festem Schritt.

Das, liebe LeserInnen, ist es, was ich mit einem schlechten Tag meine. Ich hatte mein Vorhaben erfüllt und dabei rund 15 Euro gespart – aber um welchen Preis? Müde, verschwitzt, mit Rückenschmerzen, genervt und verärgert über mich selbst. Zuhause angekommen nahm ich ein Schmerzmittel, legte mich aufs Sofa und schlief ein. Das laute Klingeln des Handys riss mich unsanft aus dem Schlaf.
Ich kam nicht mehr dazu, das versprochene Mittagessen für die Familie zu kochen.
Die enttäuschten Gesichter meiner Frau und meines Sohnes waren mein „Lohn“.
Am Nachmittag spürte ich dann auch noch eine gewisse Kälte von meiner Frau – was alles abrundete. Am nächsten Tag hatte ich eine Fieberblase – als wäre mein Gesicht noch nicht genug bestraft worden. Und mein Hühnerauge am kleinen Zeh – ja, das gibt’s wirklich – hatte sich ebenfalls weiterentwickelt: von lästig zu schlafraubend.

Und jetzt frage ich Sie haben Sie auch je so etwas erlebt? Wie fühlten Sie sich dabei?

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