Es gab einen jungen Mann aus dem Bundesland „Khoozestan“ im Nebenzimmer Nummer 4. Er war ein netter Mensch, etwa 35 Jahre alt, der ohne Akzent Persisch sprach, ein Witzbold. Er war immer gut gelaunt und brachte die anderen zum Lachen. Seine Taten waren zwar nicht gerade harmlos, aber keiner hat sie ihm wirklich übelgenommen. Vor seiner Verhaftung verdiente er sein Geld durch Schmuggeln von Waren und hatte auch Menschen, die illegal aus dem Iran ausreisen wollten, mit einem kleinen Schiff in die benachbarten Golfstaaten „gebracht“. Ich bin nie dahintergekommen, warum er als Spion verurteilt wurde. Niemand wusste wirklich Bescheid. Er war trotz seiner einfachen Art sehr schlau. Seine Antworten waren immer mit Witz und Unsinn gemischt, und niemand war imstande herauszufinden, welcher Teil seiner Aussagen der Wahrheit entsprach.
Im Gefängnis war er dafür zuständig, spezielle „Medikamente“ herzustellen oder zu besorgen, die dabei halfen, leichter und länger – viel länger – zu schlafen. Vor allem Jugendliche, die vorher Erfahrungen mit weichen Drogen gemacht hatten, nutzten seine „Produkte“. Er war – wie M. bei mir im Zimmer – immer bereit, auch ohne Zuwendungen zu helfen. Nein sagte er aber zu einer kleinen Anerkennung nie. Sein bei allen im Salon bekanntes Kunststück war es, nur mit einem Topf und nichts anderem ein leckeres Essen zuzubereiten. Die Vorbereitung dafür begann schon bei ihm im Zimmer. Er bediente sich an den Sachen der anderen, ohne dafür um Erlaubnis gefragt zu haben. Zwiebel, Kartoffeln, manchmal Reis wurden so organisiert. Seine Technik war einfach, er stellte immer sicher, dass der unfreiwillige Spender selbst bis zum nächsten Einkauf nicht ohne Lebensmittel blieb. Ferner passte er auf, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Spende entweder nicht im Zimmer war oder schlief. Er informierte die Person dann später darüber und versprach, die geliehenen Sachen zurückzugeben.
Dann waren die anderen an der Reihe. Mit dem Topf in der Hand ging er von Zimmer zu Zimmer. Er wusste auch genau, wen er um etwas bitten sollte. „Hat jemand da vielleicht eine Hühnerkeule oder Hühnerbrust, nächste Woche wird sie zurückgegeben!“, rief er. Alle wussten, zurück kommt nichts. Trotzdem spendierten einige ihm gerne etwas. In der Küche fand er das nötige Öl und Salz. Zu Mittag, nachdem er erfolgreich gekocht hatte, aß er das Zubereitete nie allein. Er setzte sich immer neben jemanden, der an dem Tag nichts gekocht oder kein Essen hatte. Es gab öfters den Fall – so auch bei mir –, wo man ihm mehr Zutaten gab und sagte: „Koche etwas mehr und ich esse auch mit.“ Für das Kochen nahm er kein Geld an. Mitessen zu lassen war seine Gegenleistung für die geschenkten Zutaten.